Schweriner Modell - Leitlinien

Abgestimmtes Papier des AK Familie und Recht – Stand: 16.06.2023

Schweriner Modell – Verfahrensweise bei außergerichtlichen und gerichtlichen familienrechtlichen Verfahren insbesondere bei Trennung und Scheidung und der Regelung von Umgangs- und Sorgerechtsfragen

Vorbemerkung

Das Schweriner Modell wird erarbeitet und weiter entwickelt im Arbeitskreis (AK) Familie und Recht. Durch den fallübergreifenden Austausch in diesem AK bemühen sich Vertreter verschiedener Institutionen und Professionen (Jugendamtsmitarbeiter, Familienrichterinnen, Familienrechtsanwälte, Sachverständige, Verfahrensbeistände und Beratungskräfte aus den Erziehungsberatungsstellen) um eine möglichst einheitliche Vorgehensweise bei der Regelung von Sorgerechts- und Umgangsthemen.

Das Modell soll eine Empfehlung an die beteiligten Professionellen sein, damit diese den Eltern eine gute Orientierung zu Abläufen des Verfahrens und den Rollen und Aufträgen der verschiedenen Berufsgruppen geben können. Es soll ebenfalls zur Orientierung über die jeweilige Arbeitsweise anderer Beteiligter und die Abgrenzung und Verortung der eigenen Tätigkeit im Gesamtverfahren dienen.

Ziel ist es, die Eltern bestmöglich dabei zu unterstützen, tragfähige Lösungen für eine individuell gut geeignete Ausübung der gemeinsamen Elternschaft zum Wohle des Kindes/der Kinder zu finden. Vorrangig soll hierbei auf die Einigung der Eltern hingewirkt und nur im Ausnahmefall eine gerichtliche Entscheidung getroffen werden.

Besondere Verfahren mit Schwerpunkten wie akute Kindeswohlgefährdungen, häusliche Gewalt, Besonderheiten bei der Umsetzung des paritätischen Wechselmodells, Hochstrittigkeit, Begleitete Umgänge sollen in gesonderten Leitfäden beschrieben werden.

Zur Unterstützung der Information der Eltern wurde eigens ein Flyer mit den wichtigsten Informationen erstellt.

Außergerichtliche Verfahrensweise:

  1. Wendet sich ein Elternteil an das zuständige Jugendamt oder den Rechtsanwalt mit Anliegen, die das Sorge- oder Umgangsrecht seines Kindes/seiner Kinder betreffen, informieren die Mitarbeiter des Jugendamtes/der Rechtsanwalt im Rahmen dieses Erstkontaktes auch umfassend über die außergerichtlichen Beratungsangebote, die vom Jugendamt und in den Erziehungsberatungsstellen vorgehalten werden. Sie wirken darauf hin, dass der Elternteil insbesondere das Angebot in den Beratungsstellen in Anspruch nimmt.

  2. In den Beratungsstellen wird im Regelfall nach dem Erstgespräch darauf hingewirkt, dass auch der andere Elternteil in die Beratungsstelle kommt und in der Folge gemeinsam/e Elterngespräch/e stattfinden.

  3. Bei Bedarf und nach Abwägen der individuell vorliegenden Fragestellungen und Rahmenbedingungen können auch die Kinder in die Beratung einbezogen werden oder erhalten ein eigenes Gesprächsangebot.

  4. Gelingt im Rahmen dieser außergerichtlichen Angebote eine einvernehmliche Regelung zu den Fragen des Sorgerechts und der Betreuung des Kindes/der Kinder nicht, steht es den Eltern frei, ein familiengerichtliches Verfahren einzuleiten.

Gerichtliche Verfahrensweise:

1. Die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens erfolgt durch den Antrag entweder eines Elternteiles oder den durch ihn beauftragten Rechtsanwalt. Ein hinzugezogener Anwalt soll im Sinne der Interessen seines Mandanten den Sachverhalt erfassen und ihn informieren über die Rechtslage und über die vorhandenen Beratungsangebote beim Jugendamt und in den Beratungsstellen und auf die Nutzung dieser hinwirken. Ein Antrag ans Gericht enthält i.d.R. Angaben zu folgenden Punkten:

a. Eine kurze Darstellung der Situation und der Probleme, die gesehen werden b. Kontaktdaten (Name, Anschrift, Telefonnummer, E-Mail-Adresse)
c. Auf herabsetzende Äußerungen über den anderen Elternteil wird verzichtet.

  1. Die zuständige Familienrichterin beraumt innerhalb von einem Monat einen Anhörungstermin an. Der Antrag des antragstellenden Elternteiles wird dem anderen Elternteil zusammen mit dem Ladungstermin zugestellt. Das Jugendamt erhält eine Abschrift und wird ebenfalls zur Anhörung geladen. Es wird ein Verfahrensbeistand bestellt.

  2. Auf den Antrag kann – muss aber nicht – vor dem Anhörungstermin erwidert werden. Beide Elternteile haben die Pflicht, vor Gericht zu erscheinen. Eine Verlegung des Termins ist nur in Ausnahmefällen möglich.

  3. Aufgabe des Verfahrensbeistandes ist es, das Kind als eigenständige Person und seine Rechte ernst- und wahrzunehmen und seine Interessen in das Verfahren einzubringen. Er soll die Kindeswünsche mitteilen und zwischen den Eltern auf eine einvernehmliche Lösung hinwirken. Er soll dem Kind verdeutlichen, dass seine Wünsche zwar einen hohen Stellenwert haben, die endgültige Entscheidung aber in den Händen der Sorgeberechtigten bzw. des Gerichts liegt.

  4. Die Kinder werden unabhängig von ihrem Alter durch die Richterin angehört. Dabei können sie ihre Interessen und Wünsche äußern. Das Richtergespräch wird bei Anwesenheit des Verfahrensbeistandes und ohne die Eltern geführt. Es dient nicht dazu, die Entscheidung in die Hände der Kinder zu legen. Sie müssen sich nicht für oder gegen einen Elternteil entscheiden.

  5. Im Anhörungstermin haben die Beteiligten Gelegenheit, ihre Standpunkte hinsichtlich des Sorgerechts bzw. einer Regelung der Betreuungsanteile darzulegen. Gegenseitige Vorwürfe und Anschuldigungen sollen unterlassen werden. Schriftliche Stellungnahmen während des Verfahrens sind nicht erforderlich.

  6. Aufgabe des Jugendamtes ist es, im Gespräch mit den Eltern und ggf. dem Kind/den Kindern die Problemschwerpunkte zu erfassen und die Eltern auf den Anhörungstermin vorzubereiten. Es soll über die Abläufe informieren und darüber aufklären, dass im Falle der Nicht-Einigung weitere Beratungsangebote unterbreitet werden.

  7. Im Anhörungstermin wird wiederum gemeinsam nach einer Lösung gesucht. Dies ist häufig eine vorläufige einvernehmliche Regelung der Eltern und ihre Vereinbarung, das Angebot der Beratung in einer Erziehungsberatungsstelle wahrzunehmen. Die

Verpflichtung dazu ergibt sich für beide Elternteile in gleicher Weise aus der Verantwortung für die Kinder. Es kann unmittelbar ein Gerichtsfolgetermin vereinbart werden, in dem die Ergebnisse der Beratung erörtert werden.

  1. Die Eltern nutzen Termine in der gewählten Beratungsstelle und bemühen sich dort, eine einvernehmliche tragfähige Lösung für die strittigen Fragen zu finden. Sie stellen der Beratungsstelle das Protokoll des Gerichtstermins zur Verfügung. Während dieser Beratungsphase werden keine neuen Anträge bei Gericht zur gleichen Fragestellung gestellt.

  2. Wenn dies nicht oder nicht in vollem Umfang gelingt, erfolgt die Erörterung der Situation in einem Folgetermin bei Gericht. Ist dieser nicht bereits in der ersten Anhörung festgesetzt worden, kann ein Elternteil bzw. dessen Rechtsanwalt einen weiteren Termin beantragen. Die Beratungsstellen geben dem Jugendamt bei Vorliegen der Schweigepflichtentbindung der Eltern eine Rückmeldung über die Beteiligung, den Umfang und das (Zwischen)Ergebnis der Beratung.

  3. Endet die Beratung mit einer einvernehmlichen Regelung der strittigen Fragen, bestätigt die Beratungsstelle diese Einigung den Eltern schriftlich und bittet sie, das Gericht darüber in Kenntnis zu setzen.

  4. Bei Nicht-Einigung der Eltern kann das Gericht die Einholung eines psychologischen oder pädagogischen Sachverständigengutachtens anordnen. Aufgabe der Sachverständigen ist es, entsprechend dem konkreten Auftrag des Gerichts Tatsachen festzustellen und zu bewerten, ggf. auch durch das Hinwirken auf Einvernehmen der Eltern zu intervenieren. Es geht in der Regel um die Erfassung und Beurteilung von Beziehungen, Bindungen, Ressourcen und Risikofaktoren in der Familie sowie um Kompetenzen der Eltern und den Entwicklungsstand und die Bedürfnisse, Kompetenzen und Belastungen des Kindes.

  5. Sollte auch im Gerichtsfolgetermin keine einvernehmliche Lösung der Eltern gefunden werden, trifft das Gericht eine Entscheidung. Entscheidungsgrundlage sind dabei die Anhörungen der Eltern, die Erkenntnisse des Jugendamtes und des Verfahrensbeistandes sowie die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens.