Organklage gegen parlamentarische Ordnungsmaßnahme erfolgreich

Nr.1/19  | 19.12.2019  | LVerfG  | Landesverfassungsgericht

Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern - Der Präsident

LVerfG 1/19                                                                  

Pressemitteilung

Organklage gegen parlamentarische Ordnungsmaßnahme erfolgreich

Mit Urteil vom heutigen Tage hat das Landesverfassungsgericht festgestellt, dass der gegenüber dem der AfD-Fraktion angehörenden Organkläger in der 49. Landtagssitzung am 21. November 2018 erfolgte Ordnungsruf gegen Art. 22 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Landesverfassung - LV - verstoßen hat.

Die Landtagspräsidentin hatte den Ordnungsruf nachträglich erteilt, weil der klagende Abgeordnete in der 47. Landtagssitzung am 25. Oktober 2018 im Rahmen der Behandlung des Antrags der AfD-Fraktion „Leistungsmissbrauch verhindern: Sachleistungen für Asylbewerber und Ausreisepflichtige“ (LT-Drs. 7/2671) mehrfach das Wort „Neger“ gebraucht habe, das von der Gesellschaft als Schimpfwort und abwertende Bezeichnung für Menschen mit dunkler Hautfarbe verstanden werde. Konkret verwendete er das Wort in einem Zwischenruf und in seinem Redebeitrag, einerseits, um als "ganz grundsätzliche Sache" zu erläutern, dass er das Wort bewusst gewählt habe, weil er sich nicht vorschreiben lasse, was ein Schimpfwort sei, und andererseits, als er die fiktive Reise eines jungen Mannes aus Ghana beschrieb.

Nach Auffassung des Landesverfassungsgerichts hat ihn der Ordnungsruf in seinem Rederecht aus Art. 22 Abs. 1 und 2 Satz 1 LV verletzt. Er kann nämlich nicht auf § 97 Abs. 2 Satz 1 und 3 der Geschäftsordnung des Landtages (GO LT) gestützt werden. Danach soll der Präsident ein Mitglied des Landtages zur Ordnung rufen, wenn es die Würde oder die Ordnung des Hauses verletzt, wobei dies auch nachträglich geschehen kann, wenn ihm eine Ordnungsverletzung entgangen ist. Der Ordnungsruf erfüllt diese Voraussetzungen jedoch nicht. Er wurde für mehrere Verwendungen des beanstandeten Wortes in unterschiedlichen Kontexten einheitlich erteilt, ohne dass der Abgeordnete in allen Fällen die Würde des Hauses verletzt hat.

Der Ordnungsruf ist dahin auszulegen, dass die mehrfache Verwendung des Wortes „Neger“ aus den oben genannten Gründen allgemein und unabhängig vom Zusammenhang gerügt wird, in dem es benutzt wurde. Er knüpft nicht an die konkreten Äußerungen des Organklägers an und differenziert auch nicht näher zwischen den verschiedenen Verwendungen. Mit dem so verstandenen Inhalt war der Ordnungsruf nicht gerechtfertigt. Die Verwendung des beanstandeten Wortes in unterschiedlichen Zusammenhängen kann nämlich nur dann einheitlich als Verletzung der Würde des Hauses gerügt werden, wenn sie den Ordnungsruf in jedem der Zusammenhänge trägt. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Unabhängig von dem konkreten Zusammenhang, in dem ein Wort verwendet wird, kann es allenfalls dann mit einem Ordnungsruf beanstandet werden, wenn es in keinem denkbaren Zusammenhang geeignet wäre, etwas zur inhaltlichen Auseinandersetzung beizutragen oder in den Kontext einer inhaltlichen Stellungnahme eingebettet zu werden, wenn es also ausschließlich der Provokation oder der Herabwürdigung anderer dienen kann. Das Wort „Neger“ gehört nicht dazu. Es wird zwar nach heutigem Sprachgebrauch in der Regel als abwertend verstanden. Ob es tatsächlich so gemeint ist, kann jedoch nur aus dem Zusammenhang heraus beurteilt werden. Es kann zitierend oder ironisch verwendet oder benutzt werden, um über das Wort, seine Verwendung und seine Verwendbarkeit zu sprechen. Dann kann es geeignet sein, zur inhaltlichen Auseinandersetzung beizutragen.

Dies gilt auch im vorliegenden Fall, soweit der Organkläger das beanstandete Wort gebrauchte, um über dessen Verwendbarkeit zu sprechen. Insoweit war es geeignet, zur inhaltlichen Auseinandersetzung beizutragen, auch wenn die Äußerung in keinem Zusammenhang mit dem Thema der Landtagsdebatte stand. Auf diesen konkreten Gebrauch hätte daher nicht mit einem Ordnungsruf reagiert werden dürfen. Bereits dies führt dazu, dass der für mehrere Verwendungen des beanstandeten Wortes in unterschiedlichen Kontexten einheitlich erteilte Ordnungsruf nicht auf § 97 Abs. 2 Satz 1 GO LT gestützt werden kann. Daher kommt es auch nicht darauf an, inwieweit die weiter einbezogenen Äußerungen des Abgeordneten im Einzelnen zu Recht hätten gerügt werden können.

 

Im Auftrag

gez. Nickels
Pressesprecher des Landesverfassungsgerichts

Presse

Presseanfragen können über die Geschäftsstelle des Landesverfassungsgerichts an die Pressesprecherin - Richterin am Oberverwaltungsgericht Dorothea ter Veen - gerichtet werden.

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