Infektionsschutzrechtliche Allgemeinverfügung des Landrates des Landkreises Vorpommern- Greifswald vom 22.01.2021 rechtswidrig Beschlüsse vom 29.01.2021 Az.: 4 B 134/21 HGW und 4 B 154/21 HGW
Pressemitteilung
1/2021
Verwaltungsgericht Greifswald gibt einstweiligen Rechtsschutzanträgen gegen die Allgemeinverfügung des Landrates des Landkreises Vorpommern-Greifswald vom 22. Januar 2021 zur Anordnung von Schutzmaßnahmen wegen der Überschreitung des lnzidenzwertes von 150 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen im Landkreis Vorpommern-Greifswald statt.
Das Verwaltungsgericht Greifswald hat mit zwei Beschlüssen vom 29. Januar 2021 einstweiligen Rechtsschutzanträgen (Az. 4 B 134/21 HGW und 4 B 154/21 HGW) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung erhobener Widersprüche gegen die in Ziffer 1. und Ziffer 2. Absatz 1 der Allgemeinverfügung des Landkreises Vorpommern-Greifswald zur Anordnung von Schutzmaßnahmen durch das Gesundheitsamt des Landkreises Vorpommern-Greifswald wegen der Überschreitung des lnzidenzwertes von 150 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen im Landkreis Vorpommern- Greifswald vom 22. Januar 2021 verfügten Maßnahmen stattgegeben und die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragsteller angeordnet.
Mit vorgenannter Allgemeinverfügung hat der Landrat des Landkreises Vorpommern-Greifswald aus infektionsschutzrechtlichen Gründen für den Landkreis beginnend ab dem 25. Januar 2021 für einen unbestimmten Zeitraum angeordnet, dass der Aufenthalt außerhalb der eigenen häuslichen Unterkunft im Zeitraum von täglich 21:00 Uhr abends bis 6:00 Uhr morgens des Folgetages ohne triftigen Grund untersagt ist (Ziffer 1.) und dass der Aufenthalt außerhalb des Bewegungsradius von 15 Kilometer um den Wohnort (Meldeadresse) im Landkreis Vorpommern-Greifswald ohne triftigen Grund untersagt ist, wobei Ausgangspunkt für die Ermittlung des 15-Kilometer-Radius die Anschrift der
Meldeadresse ist (Ziffer 2. Absatz 1).
Die Antragsteller, die ihren Wohnsitz in Greifswald haben, haben bei dem Landrat des Landkreises Vorpommern-Greifswald Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung eingelegt und am 25. bzw. 26. Januar 2021 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
In seinen Beschlüssen hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass sich die Allgemeinverfügung des Landrates des Landkreises-Vorpommern-Greifswald vom 22. Januar 2021 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweisen werde.
Das Verwaltungsgericht hat ernstliche Zweifel daran geäußert, ob die gewählte Handlungsform der personenbezogenen Allgemeinverfügung nach § 35 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz Mecklenburg-Vorpommern die in ihr materiell getroffenen Regelungen inhaltlich zu tragen vermag. Die in der Allgemeinverfügung enthaltenen zeitlich unbegrenzten und für einen großen räumlichen Geltungsbereich getroffenen Anordnungen beträfen einen so großen Personenkreis wie auch eine solche Vielzahl unbestimmter Lebenssachverhalte, dass die in diesem Umfang angeordneten Maßnahmen einer Regelung durch eine Allgemeinverfügung entzogen seien und durch eine Rechtsverordnung zu treffen sein dürften.
Darüber hinaus hat das Gericht die in der Anordnung verfügten Maßnahmen, die Ausgangssperre von täglich 21:00 Uhr abends bis 6:00 Uhr morgens des Folgetages und die Einschränkung des Bewegungsradius auf 15 km um den Wohnort auch in der Sache für rechtswidrig erachtet.
Die in Ziffer 1 der Allgemeinverfügung enthaltende Regelung sei unverhältnismäßig. Sie werde vom Antragsgegner zugleich auch als Ausreiseverbot verstanden. Ein Ausreiseverbot könne allenfalls dann in Betracht kommen, wenn eine sehr große Wahrscheinlichkeit bestehe, dass Personen im Kreisgebiet unerkannt mit dem Coronavirus infiziert seien und deshalb auch ihre Ausreise aus dem Kreisgebiet zum Schutz von Personen außerhalb des Kreisgebietes unterbunden werden solle. Eine Begründung für die derart weitreichenden Beschränkungen enthalte die Allgemeinverfügung nicht. Ebenso wenig sei in der Begründung dargelegt worden, dass weniger weitgehende Maßnahmen, wie zum Beispiel konkrete Allgemeinverfügungen gegenüber Einrichtungen, die auch im Gebiet des Antragsgegners augenscheinlich maßgeblich zum Infektionsgeschehen beitragen, keine hinreichende Aussicht auf eine effektive Senkung des Infektionsgeschehens bieten. Soweit von anderen Gerichten eine nächtliche Ausgangsbeschränkung, zum Beispiel in Bayern, als zulässig erachtet worden sei, seien diese weniger weitgehend gewesen, als diejenige, die durch den Antragsgegner angeordnet worden sei.
Die in Ziffer 2 der Allgemeinverfügung enthaltende Beschränkung des Bewegungsradius auf 15 Kilometer um den Wohnsitz dürfte, so das Gericht, wegen mangelnder hinreichender Bestimmtheit rechtswidrig sein. Aufgrund der inhaltlichen Fassung der Anordnung könnten Betroffene die Rechtslage nicht so konkret erkennen, dass sie ihr Verhalten danach auszurichten könnten. Es sei nicht ohne weiteres ersichtlich, wo der 15-Kilometer-Umkreis ende. Da ein Verstoß gegen die Beschränkung des Bewegungsradius als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld von bis zu 25.000 € bewehrt sei, sei zu verlangen, dass ohne die Nutzung von Hilfsmitteln erkennbar sein müsse, ab wann man sich ordnungswidrig verhält. Aus der Anordnung ergebe sich auch nicht, ob der 15-Kilometer-Umkreis an der Landkreisgrenze ende oder nicht. Auch sei nicht klar, was unter dem Begriff des „Aufenthaltes“ zu verstehen sei, nämlich, ob darunter auch ein bloßes „Durchqueren“ des Gebietes zwischen Ende des 15-Kilometer-Radius und der Landkreisgrenze, ohne dabei das Fortbewegungsmittel zu verlassen, davon umfasst sei oder nicht.
Die Regelung sei auch inhaltlich rechtswidrig, weil sie hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit erheblichen rechtlichen Bedenken begegne. Zwar könnten Einschränkungen des Bewegungsradius grundsätzlich geeignet sein, das Ziel einer Kontaktreduktion zu erreichen, im zu entscheidenden Fall sei jedoch zur Überzeugung des Gerichts nicht erkennbar, dass es sich bei der hier in Streit stehenden Bewegungseinschränkungen um eine geeignete Maßnahme handele, das Infektionsgeschehen in einem beachtlichen Umfang einzudämmen. Soweit die Regelung darauf abziele, größere Personenansammlungen an in der Freizeit üblicherweise besuchten Orten zu verhindern, sei nicht erkennbar, dass dies vorliegend notwendig sei. Die Begründung der Allgemeinverfügung zur Bewegungseinschränkung lasse auch nicht erkennen, dass weniger weitgehende Maßnahmen, die einen nicht so schweren Grundrechtseingriff darstellten, ergriffen worden wären oder keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Hinblick auf eine Senkung des Infektionsgeschehens bieten könnten.
Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Greifswald entfalten nur zwischen den jeweiligen Verfahrensbeteiligten unmittelbare Rechtswirkungen.
Es besteht für die jeweiligen Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, binnen einer Frist von zwei Wochen gegen den Beschluss Beschwerde einzulegen, über die das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald zu befinden hätte.
Im Auftrag
gez.
Stratmann
Pressesprecher